
Denken in Generationen
28. Oktober 2025
2040 im Blick: Offenheit hat Vorrang
28. Oktober 2025Rainer Peraus ist Unternehmensberater, Keynote-Speaker und Autor mit Fokus auf Wandel, Erneuerung und die Kraft der Utopie. Als Gründer der YOUTOPIA GROUP begleitet er
Organisationen, mutige Zukunftsbilder zu entwickeln und Transformation aktiv zu gestalten und umzusetzen. Mit „Utopic.Can“ hat er eben erst einen Verein gegründet, um Utopien mehr Raum zu geben.
www.utopiacan.org

Rainer Peraus gilt als „Mr. Utopie“ in Österreich. Er berät Unternehmen und Organisationen dabei, sich grund-
legend neu zu denken. Im Gespräch erklärt er, warum Visionen alleine nicht reichen und was Führungskräfte von Revoluzzern lernen müssen.
Thema Zukunft (TZ): Rainer, du beschäftigst dich intensiv mit utopischem Denken in Unternehmen. Warum brauchen wir gerade jetzt mehr Utopien?
Rainer Peraus (RP): Weil wir uns in einem Wirklichkeitskonstrukt festgefahren haben, das nicht mehr funktioniert. Unsere Art, Wirtschaft zu organisieren, basiert auf Annahmen, die in einer Welt voller Krisen und Spannungen nicht mehr tragen. Doch wir klammern uns daran, als wäre das Bekannte das einzig Mögliche. Wir erzählen uns permanent dieselbe Geschichte, dass alles weitergehen kann wie bisher, nur eben effizienter, schneller und digitaler. Dieses „More of the same“ stabilisiert Systeme und gibt scheinbare Sicherheit. Aber es ist eine Sackgasse, wenn ein Wandel erforderlich ist. Unternehmen versuchen, Transformation
innerhalb der bestehenden Kategorien zu erreichen. Genau das funktioniert aber nicht.
TZ: Und hier kommen Utopien ins Spiel?
RP: Ja, Utopien sind Werkzeuge, um unser starres Denken zu überwinden. Sie helfen, den inneren Zensor zu überlisten, der in uns allen steckt. Dieser Zensor hält uns in der Komfortzone des aktuell Machbaren und trennt uns so vom Potenzial der Zukunft. Echte Veränderung braucht den Mut, das Alte loszulassen.
TZ: Utopien klingen für viele nach Träumerei oder Eskapismus. Jetzt kommen viele Organisationen schon mit dem Formulieren von Visionen schwer klar.
RP: Utopien sind keine Visionen, keine - wenn auch ferne - Ziele. Sie sind gedankliche Experimentierflächen, in denen wir das scheinbar Unmögliche, aber Wünschenswerte, durchspielen können – ohne die Einschränkungen der realen Welt. Man gefahrlos eintauchen kann. „Es ist ja nur eine Utopie!“ Genau das macht sie so mächtig. Sie sind Denkwerkzeuge, die helfen, paradigmatische Dilemmas zu überwinden, Möglichkeitsräume zu sprengen, neue Horizonte zu sehen und Geschichten zu denken, die jenseits des Bestehenden liegen. Zeit für unbequeme Werte?
TZ: Du hast die alten Erzählungen angesprochen. Welche Rolle spielen Werte dabei?
RP: Eine enorme, Werte sind das Fundament jeder Erzählung. Sie bestimmen, was wir als gut oder schlecht, sinnvoll oder sinnlos empfinden. Ohne Werte gibt es keine Orientierung. Aber genau hier liegt das Problem: Viele
Unternehmen hängen an Werten fest, die nicht mehr tragfähig sind.
TZ: Kannst du das konkretisieren?
RP: Nehmen wir „Effizienz“ als Wert. Jahrzehntelang galt Effizienz als das Maß aller Dinge. Aber in einer Welt, die sich grundlegend ändern muss, um ökologisch zu überleben, wird Effizienz zum Problem. Sie optimiert nur das Alte, ohne es in Frage zu stellen. Werte können deshalb eine Falle sein, wenn sie nur dazu dienen, das Bestehende zu bewahren.
TZ: Viele Unternehmen haben ihre Werte wie „Nachhaltigkeit“ oder „Verantwortung“ längst in ihre Leitbilder integriert. Warum reicht das nicht?
RP: Weil sie oft nur kosmetisch sind. Das passiert, wenn Werte als PR-Instrumente benutzt werden, ohne das dahinterliegende Weltbild zu ändern. Echte wertebasierte Transformation bedeutet, die alten Werte zu hinter-
fragen und neue zuzulassen. Das braucht Mut und einen radikalen Wandel im Denken.
TZ: Gibt es Werte, die heute besonders wichtig wären, um einen Wandel zu
ermöglichen?
RP: Ja, und die sind unbequem. Ich glaube, wir brauchen Werte, die weniger mit Kontrolle und Absicherung zu tun haben und mehr mit Verbindung, Ganzheit und Verantwortung. Es geht darum, das Ego zurückzunehmen und sich als Teil eines größeren Ganzen zu begreifen. Das klingt vielleicht esoterisch, aber es hat ganz praktische Konsequenzen: Wenn Unternehmen begreifen, dass sie nicht isoliert agieren, sondern immer Teil eines Systems sind, verändert das alles – von der Produktentwicklung bis zur Corporate Responsibility. Leadership heißt: Vorangehen, egal wer mitgeht
TZ: Das klingt nach einer massiven Herausforderung für Führungskräfte. Wie sollen sie das schaffen?
RP: Indem sie aufhören, nur Manager:innen zu sein. Viele Führungskräfte sind Meister der Anpassung. Sie haben gelernt, im bestehenden System erfolgreich zu navigieren. Aber das macht sie zu Verwaltern des Status quo, nicht zu Gestaltern der Zukunft. Echte Leader dagegen gehen voran – egal, ob ihnen 5000 Leute folgen
oder keiner.
TZ: Das klingt nach Einsamkeit.
RP: Ist es auch. Echte Leader machen ihr Ding, weil sie davon überzeugt sind, dass es richtig ist – nicht, weil sie auf Zustimmung hoffen. Sie fragen nicht, ob jemand mitkommt. Sie gehen voran und nehmen in Kauf, dass sie erst einmal alleine sind. Das braucht Mut und eine gewisse innere Stabilität.
TZ: Das erinnert auch an politische Populisten, die polarisieren, zerstören und Menschen mitziehen.
RP: Ja, und das schmerzt. Genau das macht Leadership aus: Die Bereitschaft, durch radikales
Vorgehen etwas Neues zu schaffen. Das heißt nicht, dass man destruktiv sein soll. Aber es braucht die Bereitschaft, das Bestehende zu sprengen.
TZ: Wo liegt dann der Unterschied zwischen einem visionären Leader und einem gefährlichen Demagogen?
RP: Das ist die entscheidende Frage. Gute Leader zerstören, um Platz für etwas Besseres zu schaffen. Schlechte Leader zerstören, um sich selbst zu inszenieren. Die Grenze ist fließend. Aber grundsätzlich gilt: Wenn ein Leader nur Feindbilder schafft und nicht an einer neuen Erzählung arbeitet, dann führt er ins Chaos. Österreich - ein Land der Beharrung oder der Aufbrecher?
TZ: Lass uns über Österreich sprechen. Finden wir hier einen guten Boden für Transformation?
RP: Österreich hat eine starke Innovationskraft – aber auch eine massiv verankerte Beharrungstendenz. Ich
erlebe in den meisten Organisationen ein Sicherheitsdenken, das Wandel häufig ausbremst. Dem Bewährten zu vertrauen, ist immer noch salonfähig.
TZ: Gibt es trotzdem Beispiele für mutige Transformation?
RP: Ja, aber sie fliegen oft unter dem Radar. Es gibt Unternehmen, die neue Arbeitsmodelle ausprobieren, in Kreislaufwirtschaft investieren oder ihre gesellschaftliche Verantwortung neu definieren. Alles tolle Initiativen. Aber die große Erzählung fehlt. Der Zeitgeist kennt kaum mutige
Visionen für die Zukunft, an denen man sich ausrichten könnte.
